Trauer und Schuldgefühle 

Wann darf ich wieder glücklich sein?

Für manche Menschen ist es nicht nachvollziehbar, wenn eine Person in einer Trauerphase lacht oder wenn er glücklich zu sein scheint und dann doch kurze Zeit später wieder in tiefer Trauer versinkt.

Trauer wird all zu oft bewertet. Es werden Erwartungen an den Trauernden gestellt, es werden vor allem aus einer gewissen Unwissenheit und Unsicherheit heraus Vermutungen angestellt, wie eine adäquate Trauer auszusehen hat. Trauer ist jedoch so vielfältig wie die Menschen, die sie fühlen. In der Trauer gibt es kein Richtig und kein Falsch. Das als trauernder Mensch für sich selbst in Anspruch zu nehmen, fällt vielen Betroffenen oft schwer. Oftmals umtreiben den Trauernden Schuldgefühle.

Woher kommen Schuldgefühle?

Wir wünschen uns so sehr, dass es anders gekommen wäre. Wir wünschen uns, dass wir den Tod des geliebten Menschens hätten verhindern können. Wir glauben, dass wir nicht das Richtige getan oder nicht genug getan haben, um dem Verstorbenen zu helfen. Und weil uns der Verstorbene jene Last nicht mehr abnehmen kann, weil er nicht mehr unter uns ist, um uns zu trösten, zerfleischen wir uns am Ende darüber hinaus mit Vorwürfen.

Schuldgefühle sind normal

Schuldgefühle sind oftmals eine ganz normale Reaktion auf den erlittenen Verlust. Dem muss nicht einmal eine konkrete Sachlage zu Grunde liegen. Kein reales Geschehen muss stattgefunden haben, das Schuldgefühle rechtfertigen würde. Auch wenn ein Sterbeprozess ganz wundervoll verlaufen ist, man Abschied nehmen konnte und zwischenmenschlich keine offenen Wunden geblieben sind, so sind Schuldgefühle auch dann nicht selten. Die Schuld bezieht sich in den allermeisten Fällen darauf, dass man selbst weiterlebt. Dass man den Tod des anderen nicht hat verhindern können. Dass man wahrscheinlich eines Tages auch wieder Glück verspüren wird.

Was wir nicht kontrollieren können, macht uns Angst. Die Unausweichlichkeit des Todes ist schwer zu berücksichtigen. Es muss darum einen Grund haben, dass der geliebte Mensch umgekommen ist: Irgendetwas ist falsch gelaufen. Irgendjemand muss die Schuld daran tragen. In ihrem Schmerz und in ihrer Einsamkeit suchen Trauernde eben diese Schuld innerhalb von sich selbst. Natürlich haben wir wahrhaft nichts falsch gemacht. Es trifft uns pauschal keine Schuld. Aber die Suche nach einem „Warum“ oder nach einem der Schuld hat, hilft oftmals auch dabei, sich der eigenen Trauer nicht stellen zu müssen. Die Schuldfrage wird zu einer neuen Lebensaufgabe und tritt an die Stelle der nun nicht mehr notwendigen Pflege des Verstorbenen und an Stelle der Begleitung.

Wenn wir uns auf die Fehlersuche konzentrieren, lenkt uns das von unserem speziellen Schmerz und vom Grübeln ab – das macht die Trauer leichter erträglich. Durch den Wunsch, einen Schuldigen zu finden, wird unser Blick für die Realität trotz alledem unmittelbar getrübt und ist bei der eigenen Trauerbewältigung nicht hilfreich.

Mit Schuldgefühlen umgehen lernen

Der erste Schritt ist bereits getan, wenn man seine eigenen Schuldgefühle erkennt und sie benennt. Es muss die Frage gestellt werden: Warum fühle ich mich schuldig? Ein Gespräch mit Freunden und Familie über diese Gefühle kann helfen, diese einzuordnen. So werden sie zum Teil der Trauerbewältigung und nicht zur Strafe. Sie werden Wegweiser heraus aus der Trauer. 

Glücksmomente schaffen

Schuldgefühle kommen und gehen. Es müssen Momente geschaffen werden, in denen sie nicht dominieren. Die Erinnung an schöne gemeinsame Momente können dabei eine Stütze sein sowie gedankliche Zwiegespräche mit dem Verstorbenen, in denen man ihm oder ihr sagt, was noch zu sagen ist.

Die Angst wieder glücklich zu sein

Trauer kann heilsam sein. Trauer kann sinnstiftend sein. Denn so sehr wie man um den verstorbenen trauert, so sehr hat man ihn geliebt. Zumindest ist dieses Bild für viele Trauernden sehr gut nachzuvollziehen. Um so schwieriger wird es dann, wenn die Trauer nicht mehr allgegenwärtig ist. Denn für viele Menschen bedeutet das, dass der Verstorbene nun nicht mehr so geliebt wird, wie er es verdient hätte. Je glücklicher ich wieder werde, desto weniger liebe ich den Verstorbenen, desto mehr lasse ich ihn im Stich. Insbesondere wenn es sich um den Verlust eines Partners handelt, kann eine neue Liebe, kann der Beginn einer neuen Partnerschaft von Schuldgefühlen überschattet sein.

Loslassen und weiterleben

Trauer ist eine Lebensphase. Den Tod des Verstorbenen zu akzeptieren und gleichzeitig das eigene Leben neu zu gestalten, das ist eine Herausforderung. 5 Tipps wie wie wir Trauer annehmen und gleichzeitig loslassen:

  1. Trauer und Gemütszustand nicht bewerten. Phrasen wie: „Eigentlich sollte ich…“, „Ich müsste doch schon längst wieder…“ und „Ich kann doch jetzt nicht einfach…“ dürfen nicht Überhand nehmen. Die Trauerphase dient einzig und allein dem Trauenden. Sie ist dazu da, damit es uns wieder besser gehen kann. 
  2. Etwas Gutes in dem Tod des Verstorbenen finden. Ja, das darf man! Den Verlust in einen neuen Kontext zu setzen, gewährt neue Freiheiten. Diese Freiheiten, diese Möglichkeiten sind ein Geschenk, das jeder annehmen darf.
  3. Akzeptieren, was nicht zu ändern ist und all das aktiv gestalten, was wir gestalten können.
  4. Wiegt die Trauer zu schwer, kann Hilfe in Anspruch genommen werden. Es gibt tolle und moderne Trauerbegleiter, die Hinterbliebene professionell coachen und leiten können.
  5. Sich Zeit nehmen. Von vielen Trauernden wird erwartet, dass sie möglichst schnell wieder funktionieren und ihre Trauer auch möglichst schnell für sich behalten. Das ist falsch. Jeder darf seine Trauer zeigen, wann immer er oder sie es mag und auch darüber reden.

Wann darf ich wieder glücklich sein?

Den Zeitpunkt bestimmt jeder selbst. Trauer ist kein Gradmesser dafür, wie intensiv die Liebe zum Verstorbenen war. Alle trauern anders, ganz so wie wir auch anders leben und anders lieben.Der Zeitpunkt um eine neue Beziehung einzugehen, um zum ersten Mal wieder tanzen zu gehen oder einfach nur lauthals zu lachen, den müssen Trauernde ganz allein bestimmen. Das kann ein ganzes Trauerjahr dauern, es kann aber auch bereits bei der Beerdigung sein. Wieder glücklich zu sein bedeutet auch, in Dankbarkeit auf das gemeinsame Erleben zurückblicken zu können.