Wie gestalte ich die letzten Lebenstage für meine Angehörigen so angenehm wie möglich?
Die Lebensrealität von uns allen hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Vor allem die Digitalisierung und Globalisierung haben dazu beigetragen. Junge Menschen leben online und offline, 50-jährige sind heute noch genauso aktiv wie mit 30 und auch die Situation von Familien hat sich geändert. Es gibt immer mehr Single-Haushalte und Patchworkfamilien.
Diese veränderte Lebenssituation, beeinflusst natürlich auch unser aller Sterben. Wir möchten autark und individuell sterben können. Selbstbestimmt so lange es nur möglich ist. Als Angehöriger möchte man einem sterbenden Menschen dabei helfen. Aber wie? Was tut sterbenden Menschen gut?
Die Initiative „Superhelden fliegen vor“ möchte Angebote schaffen, informieren, genau diese Fragen beantworten und lädt Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen dazu ein sich einzubringen. Zweck der Initiative ist die Hilfe und Unterstützung von sterbenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie die Förderung von Kunst, Kultur und Medienangeboten, die sich an sterbende Menschen richten, um die verbleibende Lebenszeit bis zuletzt selbst zu gestalten, voll auszuschöpfen und selbstbestimmt leben zu können.
Angela Koch, Pressesprecherin von „Superhelden fliegen vor“ sagt: „Unser Ziel ist es, die Sterbensphase individuell zu gestalten. Nicht alle Sterbenden haben dieselben Bedürfnisse. Der Mensch bleibt er selbst bis zuletzt. Wenn man seinen Angehörigen während der Sterbensphase unterstützen möchte, dann kann man das am besten tun, indem man ihn nicht anders behandelt als sonst. Unsicherheiten offen ansprechen, die Bedürfnisse des Sterbenden ernst nehmen und ihn nicht bevormunden.“
Einer der wichtigsten Aspekte während der Sterbensphase ist es, schmerzfrei zu sein
Wenn bei Krankheit keine Aussicht auf eine Heilung besteht, so kann der Patient palliativ betreut werden. Das heißt im Mittelpunkt der Therapie stehen die Steigerung der Lebensqualität und die Linderung der Schmerzen. Wenn diese Versorgung gewährleistet ist, kann der Patient noch Wochen oder auch Monate weiterleben und die verbleibende Lebenszeit füllen.
Für viele Angehörige ist die Umstellung auf eine palliative Versorgung eine schwere Entscheidung. Zum einen erlischt die Hoffnung auf eine Heilung und zum anderen muss man sich folglich der Tatsache stellen, dass der geliebte Mensch tatsächlich stirbt. Die Auseinandersetzung mit dem Tod wird unausweichlich. Wir alle sind Sterbende. Der ein oder andere ist sich dessen nur mehr bewusst. Durch eine Diagnose, durch eine Krankheit beispielsweise. Die Verbesserung der Lebensumstände während der Sterbephase kommt uns allen früher oder später zugute. Eine flächendeckende palliative Versorgung ist immer die Grundlage und Ausgangspunkt für eine selbstbestimmte letzte Lebensphase, denn ein Mensch, der Schmerzen erleidet, hat an kulturellen oder sozialen Dingen kein Interesse.
Hospiz oder nicht Hospiz?
Viele Menschen möchten zu Hause sterben und als Angehöriger möchte man diesen Wunsch erfüllen. In vielen Fällen ist dies aber einfach nicht machbar. Manchmal zieht sich die Sterbephase über Wochen oder gar Monate hin. In der Wohnung wird für die Betreuung ein geeigneter Platz benötigt und das Familienleben läuft weiter. Der Gang in ein Hospiz ist für viele Patienten aber auch für die Angehörigen eine Entlastung. Zu wissen, dass der geliebte Mensch rund um die Uhr medizinisch gut versorgt ist, das kommt allen Beteiligten zugute.
Voraussetzung um in einem Hospiz aufgenommen zu werden, ist immer, dass der Patient über seine Situation informiert und aufgeklärt ist. Es ist für alle klar, dass er im Hospiz versterben wird. Diese Einsicht ist für eine gute Sterbebegleitung extrem wichtig. Denn ein sterbender Mensch kann anders leben, als ein Mensch, der auf eine Genesung hofft. Er kann alles essen, was er mag, alles und so viel er will rauchen oder trinken. Was immer dem Sterbenden im Moment gut tut, ist okay. Einen sterbenden Menschen zu begleiten, bedeutet in erster Linie, für ihn oder sie da sein, zuhören und sich selbst zurücknehmen. Er oder sie stehen voll und ganz im Mittelpunkt, denn dieses Erleben ist einmalig.
Jeder Mensch kann begleiten. Viele Menschen aber haben Angst in einer Begleitung etwas falsch zu machen. Zu Sterben bedeutet zu leben. Es ist eine Lebensphase in der man lachen, weinen und auch mal streiten darf.
Koch: „Viele Sterbende möchten auf gar keinen Fall bemitleidet und in Watte gepackt werden. Sterben ist ganz individuell. Der eine möchte sich nur von Pommes ernähren, ein anderer führt ein Krebstagebuch auf Instagram und noch ein anderer schreibt Briefe für seine Angehörigen. Wir können uns als Begleiter nur als Ermöglicher sehen. Was immer der Sterbende möchte, wir stellen es bereit, wir kümmern uns darum. Wichtig dabei ist auch, die eigenen Grenzen als Angehöriger zu kennen. Wenn die eigene Kraft nicht mehr ausreicht, dann ist es das Beste und Schlaueste sich Unterstützung von ausgebildeten Sterbebegleitern zu holen.“
Fast jeder Hospizdienst bietet auch eine Sterbebegleitung an. Es gibt zusätzlich zu den stationären Hospizen auch ambulante Hospizdienste, die den Sterbenden oder die Sterbende zu Hause aufsuchen und betreuen. Wer einen geliebten Menschen begleiten möchte und ihm Gutes tun mag, der informiert sich am Besten schon frühzeitig über seine Wünsche. So kann die letzte Lebensphase eine schöne gemeinsame Zeit werden.
Tabubruch oder Menschenrecht?
Die Diskussion um den assistierten Suizid gewinnt zunehmend an Bedeutung, auch weil der Gedanke, das Ende seines Lebens selbst bestimmen zu können, für viele Menschen kein Tabu mehr ist. In Deutschland hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 zwar einen Schritt in Richtung Selbstbestimmung gemacht, doch die fehlende gesetzliche Regelung lässt viele Fragen offen und führt zu Unsicherheiten.
Im Februar 2020 verkündete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein klares Grundsatzurteil: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und – so weit angeboten – von Dritten Hilfe in Anspruch zu nehmen (Bundesverfassungsgericht, Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).
Besonders kontrovers diskutiert wird der assistierte Suizid bei psychisch Kranken. Laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben auch Menschen mit psychischen Leiden und Depressionen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. In der Praxis wird jedoch besonders genau geprüft, ob die Suizidabsicht auf einer dauerhaften, freien Entscheidung basiert oder auf einer behandelbaren Krise beruht. Von den 139 Suiziden, die der Verein Sterbehilfe 2022 in Deutschland begleitet hat, waren 132 aus körperlichen und vier aus psychischen Gründen.
Mit diesem Urteil hat das BVerfG auch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für nichtig erklärt. Neben der passiven und indirekten Sterbehilfe ist somit auch der assistierte Suizid unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Doch ein Gesetz, das die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ regelt, gibt es nicht. Im Bundestag wurden zwar etliche Gesetzentwürfe zur Regelung der Sterbehilfe diskutiert, wegen fehlender Mehrheiten aber nicht verabschiedet. Sterbehilfevereine wie auch Ärzt*innen bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone.
Situation in Europa
Während der begleitete Freitod in Deutschland ein komplexes und emotional aufgeladenes Thema bleibt, das noch nicht vollständig gesetzlich geregelt ist, haben einige europäische Länder bereits klare Gesetze.
In Belgien, Luxemburg und den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe legal, zum Teil schon seit Jahrzehnten. Auch das katholische Spanien erlaubt seit 2021 die aktive Sterbehilfe, Portugal folgte 2023. In den meisten europäischen Staaten ist lediglich die passive Sterbehilfe, und selbst die unterliegt strengen Auflagen. Finnland und Österreich verbieten die aktive Sterbehilfe, jedoch gibt es Möglichkeiten für assistierten Suizid. In Frankreich ist gerade eine umfassende Reform im Gange.
In der Schweiz, wo die erste Sterbehilfeorganisation bereits 1982 gegründet wurde, ist Beihilfe zum Suizid zulässig, solange keine eigennützigen Motive vorliegen. Jährlich wählen rund 1.300 Schweizer*innen diesen Weg. Aufgrund der vergleichsweise lockeren Regeln hat sich die Schweiz aber auch für Ausländer*innen zu einem attraktiven Zielland für den assistierten Suizid entwickelt. 2023 haben 250 Personen aus dem Ausland die Sterbehilfe in der Schweiz in Anspruch genommen, darunter fünf Deutsche. 2020 gab es noch 84 deutsche ‚Sterbetouristen‘, die Zahl ist erst mit dem BVerfG-Urteil rapide gesunken.
Die Arbeit der Sterbehilfevereine
Seit dem BVerfG-Urteil haben Sterbehilfevereine, die ab 2015 verboten waren, ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die Aufgabe von Vereinen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V., Dignitas-Deutschland e. V. und der Verein Sterbehilfe ist die professionelle und rechtssichere Vermittlung und Begleitung von Sterbewilligen auf dem Weg zu Freitod. Ihr zentrales Anliegen ist ein zuverlässiger und würdevoller Suizid, bei dem der Wille des Menschen bis zum letzten Augenblick gewahrt bleibt.
Sterbehilfeorganisationen bieten aber nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch deren Familien und Freund*innen psychologische Unterstützung an. Denn der Tod eines nahestehenden Menschen ist für Angehörige oft mit starken emotionalen Belastungen verbunden, auch dann, wenn er selbstbestimmt vonstattengegangen ist.
www.dghs.de, www.dignitas.de, www.sterbehilfe.de
Was bedeutet aktive Sterbehilfe? Und worin unterscheidet sie sich von passiver und indirekter Suizidhilfe?
– aktive Sterbehilfe: Tötung durch eine andere Person auf Verlangen.
– assistierter Suizid: Beihilfe zur Selbsttötung. Der/die Sterbewillige nimmt das todbringende Mittel selbst ein.
– indirekte Sterbehilfe: Der Tod tritt durch die Nebenwirkungen verordneter Medikamente wie Morphium ein.
– passive Sterbehilfe: Der/die Sterbewillige bricht eine lebenserhaltende Behandlung ab und/oder beginnt zu fasten.
Titelbild: Pexels/Anna Shvets