/// archive

Fürchte dich nicht

Die Ewigkeit ist eine Frage der Haltung

Vor kurzem wurde in Afrika die Begräbnisstätte eines steinzeitlichen Kindes entdeckt. Mit einem Alter von ca. 78.000 Jahren ist es die älteste Fundstätte dieser Art. Bemerkenswert ist, dass das Kind in der gebeugten Haltung eines Schlafenden bestattet wurde. Hatten selbst unsere frühesten menschlichen Vorfahren die Hoffnung, dass der Tod nur ein Schlaf ist und das Erwachen in anderer Dimension erhofft? Dabei müssen gerade unseren prähistorischen Vorfahren die sogenannten paläoanthropologischen Ängste besonders präsent gewesen sein. Die Urängste vor der dem Verhungern, die Angst bei Ausweglosigkeit oder vor der Isolation, sie alle münden in der eine große Vernichtungsangst vor dem Tod. 

„Fürchte dich nicht“, das sagt der Engel zur trauernden Maria am Grab Jesu und setzt damit die Verheißung der Auferstehung gegen die Endlichkeit des irdischen Dasein. Denn zu dem Schmerz, einen Menschen verloren zu haben, kommt auch die Angst vor der eigentlichen Endlichkeit als vermutlich größter Irritation der menschlichen Existenz. Im Fluss der täglichen Verpflichtungen wird dieses objektive Wissen um die Sterblichkeit oft verdrängt und manchmal überspielt durch die vielen Ablenkungen oder Freuden, die zu mindestens das Leben in einer Wohlstandsgesellschaft mit sich bringt.

Dass dieser Zustand nicht ewig währt, wird gerne aus dem Bewusstsein verbannt. Wie aber lässt sich dieser Sehnsuchtsort Ewigkeit, von dem fast alle Religionen handeln, definieren? Ewig, so kann man wohl behaupten, ist etwas ohne Anfang und ohne Ende. Ein ewiges Paradies war für hunderte von Jahren die Vorstellung des Lebens nach dem Tod. Gerade auch bei denen, die mühselig und beladen waren, was der Religion den Vorwurf des Opiums für das Volk eingetragen hat. Dieser Definition folgend ist aber auch der einzelne Augenblick von Ewigkeit, denn auch der Augenblick hat keinen Anfang und kein Ende. Könnte jeder Moment unseres Lebens also den Funken der Unsterblichkeit tragen? Wie müsste ein solcher Moment gestaltet werden, damit er dieses transzendente Erleben ermöglicht? Als Jesus gefragt wurde, welches das wichtigste Gebot ist, antwortete er: „Liebe deinen nächsten wie dich selbst.“ Kann es möglich sein, dass Selbstliebe uns dazu befähigen könnte, auch andere zu lieben? Aus dieser Haltung der Liebe zu mir selbst und zu meinem Nächsten, könnten wir dem Augenblick einen Wert verleihen, der sich in eine Kette unendlicher Momente der Zuwendung wandelt. Alles, was mit Bedacht und Liebe getan wird, statt flüchtig und unachtsam, erschafft einen Fluss endlosen Lebens.

Über den Tod sprechen

Tod und Trauer mit Freunden und Familie bewältigen

Es kommt normalerweise nicht naturgemäß vor, dass wir uns im Familien- und Freundesverband gerne mit dunklen Themen wie Tod und Trauer auseinandersetzen. Meistens bedarf es dazu einem Anlass. Wenn dann ein Todesfall oder eine Erkrankung im engsten Umfeld auftritt, dann sind viele Menschen überfordert und wissen nicht wohin mit ihren Ängsten und Sorgen. Innerhalb von Familien betrifft ein Todesfall immer alle und das auf ganz unterschiedlichen Weisen. Für den einen verstirbt der Vater, für den anderen der Sohn, für wieder andere der Ehepartner.

Jeder innerhalb der Familie ist vom Verlust betroffen, allerdings wird sich dieser im Alltag in ganz unterschiedlichen Bereichen zeigen.

Trauer ist Emotion

Wir neigen dazu Emotionen wie Liebe, Freude und Lust als positiv zu bewerten und Zorn, Wut und Trauer als eine unangenehme Erfahrung anzusehen. Beides gehört aber zusammen. Die hellen und auch die dunklen Dinge. Barbara Till von „The Funeralist“, einem Bestattungsunternehmen in Berlin, begleitet Familien vor, während und nach dem Versterben des Angehörigen. Sie kennt die Probleme in den Familien gut und stärkt Trauernde darin, auch für traurige Gedanken und negative Gefühlen dankbar zu sein und diese zu schätzen: „Nichts steht für sich allein. Kein Ich ohne Du. Kein Leben ohne Tod. Alles ist miteinander verbunden und einander ausgeliefert. Immer. So ist jede Handlung im Außen auch eine im Inneren. Jede Handlung an dem anderen eine Handlung an mir selbst. Jede Handlung im Kleinen auch eine im Großen – und umgekehrt. Das zu verstehen befreit zum Leben und navigiert uns zu den wirklich bedeutsamen Dingen.“ 

Trauer hat ihre Berechtigung. Sie ist die Antwort auf ein einschneidendes Erlebnis. Sie hilft uns dabei, mit einer neuen Lebensrealität umzugehen. Für viele Menschen ist die Bewältigung des Alltags eine der größten Herausforderung in Zeiten der Trauer. Alltägliche Dinge scheinen profan und unwichtig zu sein. Das fängt mit dem Gang zum Friseur an und geht über berufliche Dinge bis hin zum Erledigen von Pflichten im Haushalt. Alles scheint sinnlos geworden zu sein.

Mit Freunden und Familie über die eigene Trauer sprechen

Wichtig ist es, zunächst die eigene Trauer auch als Trauer zu erkennen. Oft bemerkt man erst nur einige Veränderungen im eigenen Empfinden und bringt diese vielleicht gar nicht mit dem Verlust zusammen. Vor allem wenn diese emotionalen Veränderungen zeitversetzt auftreten.

In der Familie gilt es, zunächst das gemeinsam Erlebte zu verarbeiten. Die Zeit des Sterbens oder auch der Schock, sofern es sich um einen plötzlichen Tod handelt, haben den Alltag und das Zusammenleben erschüttert und der Tod bzw. der Verstorbene stand und steht im Mittelpunkt aller Leben. Aber das Leben geht weiter. Die Kinder müssen weiter zur Schule, irgendwann beginnt auch wieder der berufliche Alltag und eine gewisse Normalität setzt ein. Trauer bahnt sich immer ihren Weg und kann in den verrücktesten Momenten auftreten. Diese ganz persönlichen Erfahrungen können verbinden. Auch gemeinsame Abschiedsrituale können dabei helfen über das Erlebte und über die eigene Traurigkeit ins Gespräch zu kommen.

Zeit und Raum auch für traurige Momente schaffen

Innerhalb der Familie müssen geschützte Räume geschaffen werden, in denen jeder seine eigene Trauer auch leben kann. In der Öffentlichkeit zu trauern, fällt vielen Menschen schwer. Vor anderen Menschen zu trauern ebenfalls. Gemeinsame Momente zu schaffen, in denen das ganz bewusst möglich ist und in der jeder seinen Gefühlen freien Lauf lassen kann, sind wertvolle Momente in der Trauerarbeit.

Trauerkultur in der Familie aktiv gestalten

Um die Trauerphasen innerhalb der Familie aktiv zu verbinden, kann man kreativ werden. Symbole können dabei ein ganz wichtiger Faktor und eine große Hilfestellung sein.

Gertrud Ennulat, Pädagogin und Autorin sagt: „Trauerkultur in der Familie gibt Raum für Symbole wie beispielsweise den Engel, der Gegensätze überwindet. Engel sind Lichtwesen, die von der verwandelten Seinsweise des Verstorbenen künden, aber auch Boten, welche die transzendente Welt mit unserer Welt verbinden. Oft malen Kinder in Zeiten, wo sie eine Verlusterfahrung verarbeiten, einen Regenbogen. In alten Mythen stellt der Weg über die Regenbogenbrücke den Übergang ins Reich der Toten dar. Wenn nach einem Regenguss die Sonne wieder scheint, entsteht am Himmel ein Regenbogen, zart, berührend und bestaunenswert. Seine Farben faszinieren in ihrer Schönheit. Taucht er am Himmel auf, kann sich niemand seinem Anblick entziehen. Und das in Bildern von trauernden Kindern oft auftauchende Symbol des Schmetterlings verweist auf die Schönheit und Leichtigkeit der neuen Existenz des Toten. Die Art und Weise wie ein Schmetterling entsteht, nennen wir eine Metamorphose. Dieses Bild wird oft gebraucht, um seelische Entwicklungsprozesse auszudrücken, denn auch dort gibt es Phasen der Ruhe, welche dem Vorgang der Verpuppung gleichen. Oft suchen Raupen Schlupfwinkel aus, um geschützt zu sein, und während des Puppenstadiums, das nur scheinbar ein Ruhestadium ist, finden gravierende Schritte für die Metamorphose zum Falter statt. Das Ergebnis ist der Schmetterling, leicht und zart wie ein Hauch. Alle diese Bilder sind Versuche, das Geheimnis des Todes und der Verwandlung auszudrücken. Sie helfen dabei, den Tod ins Leben zu integrieren und bewahren zugleich sein Geheimnis; es bleibt in der Schwebe.“

Reden und Schweigen

Die persönliche Trauer ist individuell, so dass man einen Großteil davon mit sich selbst ausmachen muss und oft auch ausmachen möchte. So wertvoll lange Gespräche, das Erinnern und Mut machen auch sein mögen, manchmal hilft es, einfach nur zu schweigen und vor allem auch schweigen zu dürfen. Wenn ein trauernder Mensch sich zurückzieht, bedeutet das nicht, dass er seine Freunde und Familie nicht braucht oder sie nicht um sich haben möchte. Es ist ein ganz natürliches Verhalten, sich selbst Zeit und Raum zu nehmen, um trauern zu können. In diesen Fällen ist es wichtig, dass dem trauernden Verständnis signalisiert wird und er ohne jeglichen Druck in seinem eigenen Tempo trauern darf.

Eine Trauerphase innerhalb einer Familie zu bewältigen, ist keine leichte Aufgabe. Aber es ist eine Lebensphase, die mit allen anderen Phasen eines gemein hat. Auch sie geht vorbei.

Nur Mut!

Wie sage ich meinem Kind, dass Oma tot ist?

Der Tod ist in den letzten Jahrzehnten aus der Mitte der Gesellschaft verschwunden und findet auch in den Familien kaum noch statt. Kinder werden nur in den seltensten Fällen in den Sterbeprozess von Angehörigen mit eingebunden. Umso schwieriger ist es, wenn im Ernstfall die Worte fehlen, um Trost zu spenden und um den Tod erklären zu können.

In jeder Familie wird man irgendwann zwangsläufig mit dem Tod konfrontiert. Wenn also ein geliebter Mensch stirbt, stehen die Eltern vor der Herausforderung, ihren Kindern nachvollziehbar zu erklären, was passiert ist.

Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz, kennt solche Situationen gut: „In unserer Arbeit begleiten wir schwerstkranke Kinder oftmals über Jahre hinweg und sind auch Ansprechpartner für Eltern und nicht zu vergessen für die Geschwister. Denn auch sie müssen lernen loszulassen. Ansonsten kann das Erlebte und der Verlust, den man erlitten hat, nur schwer verarbeitet werden. Wichtig dabei ist, auch in der Trauer das Kind Kind sein zu lassen und dennoch klar in der Kommunikation zu bleiben. Im optimalsten Fall bezieht man auch Kinder bereits in den Sterbeprozess mit ein. Aktiv Abschied zu nehmen, kann eine wunderbare Erfahrung und auch sehr heilsam sein.“

Prinzipiell können und sollen Kinder jeden Alters in die Abschieds- und Begräbnisfeierlichkeiten einbezogen werden. Kinder beherrschen und spüren mehrheitlich überaus exakt, ob sie den Verstorbenen abermals sehen und ob sie beim Begräbnis dabei sein möchten. Kinderwünsche sollten respektiert und ernst genommen werden. Nichtsdestotrotz muss man die Kinder gut vorbereiten, damit sie verstehen können, was passiert. Sei es die Situation im Krankenhaus, zu Hause oder auch in einem Hospiz. Für Kinder sind dies ganz neue Bilder, ganz neue Geschehnisse, die es einzuordnen gilt. Auch das Aufeinandertreffen mit dem Sterbenden sollte vorbereitet werden. So kann man mit den Kindern Zeichnungen für den Verstorbenen malen oder Blumen aussuchen, die als Geschenk mitgebracht werden. Wenn Kinder auch die Beerdigung begleiten, so ist es wichtig, ihnen eine Bezugsperson zur Seite zu stellen, die Halt und Erklärungen bieten kann. Im optimalsten Fall findet sich eine Person, die nicht zu sehr emotional belastet ist und deren eigene Trauer somit nicht im Vordergrund steht.

Kraft: „Gerade in emotionalen und schwierigen Momenten der Trauer ist es hilfreich, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen und das Verhalten der Kinder nicht in richtig oder falsch zu bewerten. Das eine Kind mag gedrückt werden, ein anderes zieht sich zurück. Das ist ok. Wichtig ist zu signalisieren: ‘Ich bin für dich da. Auch ich bin traurig, das ist normal. Das teilen wir.’“

Noch schwieriger ist die Situation, wenn jemand ganz plötzlich aus dem Leben gerissen wird und keine Möglichkeit zum Abschied nehmen bestand. Häufig stehen in einem solchen Fall auch die nahen Angehörigen so sehr unter Schock, dass die Auseinandersetzung mit den Kindern vielfach zu kurz kommt. Dann kann eine professionelle Familientrauerbegleitung helfen. Familien sind seelsorgerisch nicht mehr so vernetzt wie früher. Die Kernfamilie, die den Kindern am nächsten steht, sieht sich insbesondere in Zeiten der Trauer mit den emotionalen Problemen, die in den häufigsten Fällen auftreten, überfordert.  Der Blick von außen kann aber für viele Menschen ein ganz hilfreicher sein. Wenn jemand, der nicht emotional involviert ist, auch problematische Verhaltensweise der Kinder wahrnimmt, kann eine Ursache leichter ausgemacht werden. Trauer äußert sich in vielerlei Hinsicht. Um die Trauer verarbeiten zu können, muss man allerdings an deren Kern herankommen. Es gibt Trauercoaches, die auf die Begleitung von Familien und Kindern spezialisiert sind. Die Hilfe kann bereits im Vorfeld des Todes in Anspruch genommen werden. Insbesondere wenn ein Elternteil stirbt, fällt es dem überlebenden Elternteil oft schwer, den Kindern die Todesbotschaft zu übermitteln. Trauerbegleiter können bereits bei dieser schweren Aufgabe helfen und dieses so wichtige Gespräch vorbereiten und begleiten.

Hilfe zur Selbsthilfe ist ein weiterer wichtiger Punkt. Je besser der Überbringer der Nachricht mit dem Verlust umgeht, desto besser kann auch ein Kind eine solche Nachricht annehmen. Sobald man selbst eine Überforderung spürt, eine Ohnmacht oder die eigene Trauer einfach zu tief ist, um Kindern Beistand zu leisten, heißt es: Die eigene Trauer akzeptieren und nach Hilfe fragen. Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine existentielle Ausnahmesituation und es ist völlig okay, wenn man nicht so funktioniert, wie man es normalerweise gewohnt ist. Je mehr man auf sich selbst achtet, desto mehr kann man auch den Kindern bei ihrer Trauerbewältigung helfen.

Generell kann man sich an 6 wichtigen Punkten in der Trauerbegleitung von Kindern orientieren:

– Fragen bezüglich des Verstorbenes ehrlich und altersgemäß beantworten und die Kinder in ihren Nöten ernst nehmen.

– Kindern Möglichkeiten aufzeigen, das Andenken des Verstorbenen zu erhalten.

– Trauer, Wut und Zorn zulassen, darüber sprechen und die Kinder mit ihren Gefühlen begleiten.

– Einen Blick nach vorne, eine Perspektive schaffen. Trauer ist eine Phase.

– Glücklich sein zulassen, ohne Schuldgefühle haben zu müssen.

– Trauer braucht Raum und Zeit. Gespräche mit den Kindern sollten in einem geschützten Raum und ohne Zeitdruck stattfinden.

Wer seinen Kindern den Umgang mit dem Thema Tod und Trauer erleichtern möchte, beschäftigt sich schon frühzeitig und proaktiv mit diesen Themen und hilft den Kindern auch ohne akuten Todesfall, die Endlichkeit von Leben zu begreifen. Das kann anhand des Sterbens von Tieren geschehen, oder auch thematisiert werden, wenn ein Prominenter oder entfernter Bekannter stirbt.

Je mehr wir den Tod mit in den Alltag einbeziehen, desto natürlich gehen Kinder dann auch damit um, wenn ein Familienmitglied stirbt. Ein Kind zu schonen, bedeutet nicht, den Tod möglichst vor dem Kind geheim zu halten. Kinder müssen zu leben lernen und das mit allen Realitäten, die bestehen. Wer seinem Kind dabei helfen möchte, steht als Ansprechpartner bereit, hört zu und spricht auch vermeintlich schwierige Fragen an. Viele Kinder haben von Natur aus einen viel selbstverständlicheren Zugang zum Thema Tod und Sterben. Sie nehmen das Sterben ganz anders und sehr viel wohlwollender an als viele Erwachsene wahr. Ein solches Tabuthema gemeinsam zu besprechen, dem Kind zu zeigen, dass es alle Themenbereiche des Lebens ansprechen kann, das kann die vorhandene Beziehung zueinander stärken und das Vertrauen festigen. Nur Mut!

Trauer und Schuldgefühle 

Wann darf ich wieder glücklich sein?

Für manche Menschen ist es nicht nachvollziehbar, wenn eine Person in einer Trauerphase lacht oder wenn er glücklich zu sein scheint und dann doch kurze Zeit später wieder in tiefer Trauer versinkt.

Trauer wird all zu oft bewertet. Es werden Erwartungen an den Trauernden gestellt, es werden vor allem aus einer gewissen Unwissenheit und Unsicherheit heraus Vermutungen angestellt, wie eine adäquate Trauer auszusehen hat. Trauer ist jedoch so vielfältig wie die Menschen, die sie fühlen. In der Trauer gibt es kein Richtig und kein Falsch. Das als trauernder Mensch für sich selbst in Anspruch zu nehmen, fällt vielen Betroffenen oft schwer. Oftmals umtreiben den Trauernden Schuldgefühle.

Woher kommen Schuldgefühle?

Wir wünschen uns so sehr, dass es anders gekommen wäre. Wir wünschen uns, dass wir den Tod des geliebten Menschens hätten verhindern können. Wir glauben, dass wir nicht das Richtige getan oder nicht genug getan haben, um dem Verstorbenen zu helfen. Und weil uns der Verstorbene jene Last nicht mehr abnehmen kann, weil er nicht mehr unter uns ist, um uns zu trösten, zerfleischen wir uns am Ende darüber hinaus mit Vorwürfen.

Schuldgefühle sind normal

Schuldgefühle sind oftmals eine ganz normale Reaktion auf den erlittenen Verlust. Dem muss nicht einmal eine konkrete Sachlage zu Grunde liegen. Kein reales Geschehen muss stattgefunden haben, das Schuldgefühle rechtfertigen würde. Auch wenn ein Sterbeprozess ganz wundervoll verlaufen ist, man Abschied nehmen konnte und zwischenmenschlich keine offenen Wunden geblieben sind, so sind Schuldgefühle auch dann nicht selten. Die Schuld bezieht sich in den allermeisten Fällen darauf, dass man selbst weiterlebt. Dass man den Tod des anderen nicht hat verhindern können. Dass man wahrscheinlich eines Tages auch wieder Glück verspüren wird.

Was wir nicht kontrollieren können, macht uns Angst. Die Unausweichlichkeit des Todes ist schwer zu berücksichtigen. Es muss darum einen Grund haben, dass der geliebte Mensch umgekommen ist: Irgendetwas ist falsch gelaufen. Irgendjemand muss die Schuld daran tragen. In ihrem Schmerz und in ihrer Einsamkeit suchen Trauernde eben diese Schuld innerhalb von sich selbst. Natürlich haben wir wahrhaft nichts falsch gemacht. Es trifft uns pauschal keine Schuld. Aber die Suche nach einem „Warum“ oder nach einem der Schuld hat, hilft oftmals auch dabei, sich der eigenen Trauer nicht stellen zu müssen. Die Schuldfrage wird zu einer neuen Lebensaufgabe und tritt an die Stelle der nun nicht mehr notwendigen Pflege des Verstorbenen und an Stelle der Begleitung.

Wenn wir uns auf die Fehlersuche konzentrieren, lenkt uns das von unserem speziellen Schmerz und vom Grübeln ab – das macht die Trauer leichter erträglich. Durch den Wunsch, einen Schuldigen zu finden, wird unser Blick für die Realität trotz alledem unmittelbar getrübt und ist bei der eigenen Trauerbewältigung nicht hilfreich.

Mit Schuldgefühlen umgehen lernen

Der erste Schritt ist bereits getan, wenn man seine eigenen Schuldgefühle erkennt und sie benennt. Es muss die Frage gestellt werden: Warum fühle ich mich schuldig? Ein Gespräch mit Freunden und Familie über diese Gefühle kann helfen, diese einzuordnen. So werden sie zum Teil der Trauerbewältigung und nicht zur Strafe. Sie werden Wegweiser heraus aus der Trauer. 

Glücksmomente schaffen

Schuldgefühle kommen und gehen. Es müssen Momente geschaffen werden, in denen sie nicht dominieren. Die Erinnung an schöne gemeinsame Momente können dabei eine Stütze sein sowie gedankliche Zwiegespräche mit dem Verstorbenen, in denen man ihm oder ihr sagt, was noch zu sagen ist.

Die Angst wieder glücklich zu sein

Trauer kann heilsam sein. Trauer kann sinnstiftend sein. Denn so sehr wie man um den verstorbenen trauert, so sehr hat man ihn geliebt. Zumindest ist dieses Bild für viele Trauernden sehr gut nachzuvollziehen. Um so schwieriger wird es dann, wenn die Trauer nicht mehr allgegenwärtig ist. Denn für viele Menschen bedeutet das, dass der Verstorbene nun nicht mehr so geliebt wird, wie er es verdient hätte. Je glücklicher ich wieder werde, desto weniger liebe ich den Verstorbenen, desto mehr lasse ich ihn im Stich. Insbesondere wenn es sich um den Verlust eines Partners handelt, kann eine neue Liebe, kann der Beginn einer neuen Partnerschaft von Schuldgefühlen überschattet sein.

Loslassen und weiterleben

Trauer ist eine Lebensphase. Den Tod des Verstorbenen zu akzeptieren und gleichzeitig das eigene Leben neu zu gestalten, das ist eine Herausforderung. 5 Tipps wie wie wir Trauer annehmen und gleichzeitig loslassen:

  1. Trauer und Gemütszustand nicht bewerten. Phrasen wie: „Eigentlich sollte ich…“, „Ich müsste doch schon längst wieder…“ und „Ich kann doch jetzt nicht einfach…“ dürfen nicht Überhand nehmen. Die Trauerphase dient einzig und allein dem Trauenden. Sie ist dazu da, damit es uns wieder besser gehen kann. 
  2. Etwas Gutes in dem Tod des Verstorbenen finden. Ja, das darf man! Den Verlust in einen neuen Kontext zu setzen, gewährt neue Freiheiten. Diese Freiheiten, diese Möglichkeiten sind ein Geschenk, das jeder annehmen darf.
  3. Akzeptieren, was nicht zu ändern ist und all das aktiv gestalten, was wir gestalten können.
  4. Wiegt die Trauer zu schwer, kann Hilfe in Anspruch genommen werden. Es gibt tolle und moderne Trauerbegleiter, die Hinterbliebene professionell coachen und leiten können.
  5. Sich Zeit nehmen. Von vielen Trauernden wird erwartet, dass sie möglichst schnell wieder funktionieren und ihre Trauer auch möglichst schnell für sich behalten. Das ist falsch. Jeder darf seine Trauer zeigen, wann immer er oder sie es mag und auch darüber reden.

Wann darf ich wieder glücklich sein?

Den Zeitpunkt bestimmt jeder selbst. Trauer ist kein Gradmesser dafür, wie intensiv die Liebe zum Verstorbenen war. Alle trauern anders, ganz so wie wir auch anders leben und anders lieben.Der Zeitpunkt um eine neue Beziehung einzugehen, um zum ersten Mal wieder tanzen zu gehen oder einfach nur lauthals zu lachen, den müssen Trauernde ganz allein bestimmen. Das kann ein ganzes Trauerjahr dauern, es kann aber auch bereits bei der Beerdigung sein. Wieder glücklich zu sein bedeutet auch, in Dankbarkeit auf das gemeinsame Erleben zurückblicken zu können.

Morphium, Pommes und Instagram

Wie gestalte ich die letzten Lebenstage für meine Angehörigen so angenehm wie möglich?

Die Lebensrealität von uns allen hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Vor allem die Digitalisierung und Globalisierung haben dazu beigetragen. Junge Menschen leben online und offline, 50-jährige sind heute noch genauso aktiv wie mit 30 und auch die Situation von Familien hat sich geändert. Es gibt immer mehr Single-Haushalte und Patchworkfamilien. 

Diese veränderte Lebenssituation, beeinflusst natürlich auch unser aller Sterben. Wir möchten autark und individuell sterben können. Selbstbestimmt so lange es nur möglich ist. Als Angehöriger möchte man einem sterbenden Menschen dabei helfen. Aber wie? Was tut sterbenden Menschen gut? 

Die Initiative „Superhelden fliegen vor“ möchte Angebote schaffen, informieren, genau diese Fragen beantworten und lädt Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen dazu ein sich einzubringen. Zweck der Initiative ist die Hilfe und Unterstützung von sterbenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie die Förderung von Kunst, Kultur und Medienangeboten, die sich an sterbende Menschen richten, um die verbleibende Lebenszeit bis zuletzt selbst zu gestalten, voll auszuschöpfen und selbstbestimmt leben zu können.

Angela Koch, Pressesprecherin von „Superhelden fliegen vor“ sagt: „Unser Ziel ist es, die Sterbensphase individuell zu gestalten. Nicht alle Sterbenden haben dieselben Bedürfnisse. Der Mensch bleibt er selbst bis zuletzt. Wenn man seinen Angehörigen während der Sterbensphase unterstützen möchte, dann kann man das am besten tun, indem man ihn nicht anders behandelt als sonst. Unsicherheiten offen ansprechen, die Bedürfnisse des Sterbenden ernst nehmen und ihn nicht bevormunden.“

Einer der wichtigsten Aspekte während der Sterbensphase ist es, schmerzfrei zu sein

Wenn bei Krankheit keine Aussicht auf eine Heilung besteht, so kann der Patient palliativ betreut werden. Das heißt im Mittelpunkt der Therapie stehen die Steigerung der Lebensqualität und die Linderung der Schmerzen. Wenn diese Versorgung gewährleistet ist, kann der Patient noch Wochen oder auch Monate weiterleben und die verbleibende Lebenszeit füllen.

Für viele Angehörige ist die Umstellung auf eine palliative Versorgung eine schwere Entscheidung. Zum einen erlischt die Hoffnung auf eine Heilung und zum anderen muss man sich folglich der Tatsache stellen, dass der geliebte Mensch tatsächlich stirbt. Die Auseinandersetzung mit dem Tod wird unausweichlich. Wir alle sind Sterbende. Der ein oder andere ist sich dessen nur mehr bewusst. Durch eine Diagnose, durch eine Krankheit beispielsweise. Die Verbesserung der Lebensumstände während der Sterbephase kommt uns allen früher oder später zugute. Eine flächendeckende palliative Versorgung ist immer die Grundlage und Ausgangspunkt für eine selbstbestimmte letzte Lebensphase, denn ein Mensch, der Schmerzen erleidet, hat an kulturellen oder sozialen Dingen kein Interesse. 

Hospiz oder nicht Hospiz?

Viele Menschen möchten zu Hause sterben und als Angehöriger möchte man diesen Wunsch erfüllen. In vielen Fällen ist dies aber einfach nicht machbar. Manchmal zieht sich die Sterbephase über Wochen oder gar Monate hin. In der Wohnung wird für die Betreuung ein geeigneter Platz benötigt und das Familienleben läuft weiter. Der Gang in ein Hospiz ist für viele Patienten aber auch für die Angehörigen eine Entlastung. Zu wissen, dass der geliebte Mensch rund um die Uhr medizinisch gut versorgt ist, das kommt allen Beteiligten zugute. 

Voraussetzung um in einem Hospiz aufgenommen zu werden, ist immer, dass der Patient über seine Situation informiert und aufgeklärt ist. Es ist für alle klar, dass er im Hospiz versterben wird. Diese Einsicht ist für eine gute Sterbebegleitung extrem wichtig. Denn ein sterbender Mensch kann anders leben, als ein Mensch, der auf eine Genesung hofft. Er kann alles essen, was er mag, alles und so viel er will rauchen oder trinken. Was immer dem Sterbenden im Moment gut tut, ist okay. Einen sterbenden Menschen zu begleiten, bedeutet in erster Linie, für ihn oder sie da sein, zuhören und sich selbst zurücknehmen. Er oder sie stehen voll und ganz im Mittelpunkt, denn dieses Erleben ist einmalig.

Jeder Mensch kann begleiten. Viele Menschen aber haben Angst in einer Begleitung etwas falsch zu machen. Zu Sterben bedeutet zu leben. Es ist eine Lebensphase in der man lachen, weinen und auch mal streiten darf. 

Koch: „Viele Sterbende möchten auf gar keinen Fall bemitleidet und in Watte gepackt werden. Sterben ist ganz individuell. Der eine möchte sich nur von Pommes ernähren, ein anderer führt ein Krebstagebuch auf Instagram und noch ein anderer schreibt Briefe für seine Angehörigen. Wir können uns als Begleiter nur als Ermöglicher sehen. Was immer der Sterbende möchte, wir stellen es bereit, wir kümmern uns darum. Wichtig dabei ist auch, die eigenen Grenzen als Angehöriger zu kennen. Wenn die eigene Kraft nicht mehr ausreicht, dann ist es das Beste und Schlaueste sich Unterstützung von ausgebildeten Sterbebegleitern zu holen.“

Fast jeder Hospizdienst bietet auch eine Sterbebegleitung an. Es gibt zusätzlich zu den stationären Hospizen auch ambulante Hospizdienste, die den Sterbenden oder die Sterbende zu Hause aufsuchen und betreuen. Wer einen geliebten Menschen begleiten möchte und ihm Gutes tun mag, der informiert sich am Besten schon frühzeitig über seine Wünsche. So kann die letzte Lebensphase eine schöne gemeinsame Zeit werden.